"Und was kann man damit machen?", fragte ich den Verkäufer, über die flache Kiste mit dem Elektronikteil gebeugt, auf der aus unerfindlichen Gründen die Zahl "14.400" aufgedruckt war. In blau, wie ich mich erinnere.
"Mailboxen, DFÜ, Internet", sagte der Verkäufer.
Internet kannte ich. Das war der Quatsch, von dem H. in letzter Zeit immer sprach. H. war mein bester Freund und außerdem war er mir und allen anderen normalerweise drei Jahre voraus, was Technik anging. Hatte mich schon immer gewurmt.
"Ah", sagte ich. "Und macht das Spaß?"
"Mir schon!", sagte der Verkäufer, und sein Gesicht leuchtete auf.
Ich kaufte das nicht. Ich brauchte das nicht. Diese ehrliche Begeisterung fand ich verdächtig.
Den Laden gibt es schon lange nicht mehr.
1994 wußte ich noch nicht einmal, was das Internet ist. Ich glaube, so 1995/96 machten mich die Erstsemester meines Tutoriums mit dem Titel "Marx, Weber und die anderen Racker" (so ungefähr jedenfalls) darauf aufmerksam, indem sie fragten, ob dieses oder jenes Material auch "online" zu kriegen sei. "Onlein? Wasn das nun wieder?" Ich hatte zu dieser Zeit gerade von der Schreibmaschine zu einem Commodore gewechselt und das bereitete mir eine liebe Not. Krass, was?
1993: Magisterarbeit noch mit der Schreibmaschine verfasst. Unvorstellbar.
Für meine erste eigene Schreibmaschine (mit Korrekturtaste!) habe ich mich finanziell vollkommen verausgabt.
Was mich immer noch selbst verwundert: Dass ich mir neben dieser finanziellen Verausgabung zusätzlich eine gerahmte Druckgrafik leistete, die noch einmal so viel wie die Schreibmaschine kostete. Bürgerlichkeit in einem Aufwasch, sozusagen. Mit 18 fällt man seltsame Entscheidungen. Das Bild hängt immer noch bei mir.
Ich habe bei den Demonstrationen zum ersten amerikanischen Golfkrieg das erste mal etwas von Rechnernetzen gehört und gesehen: Meterweise Ausdrucke von kriegskritischen Texten und ungehörten Nachrichten aus Amerika, die angeblich aus dunklen Kanälen kamen.
1993 habe ich dann zum ersten Mal dies krächzende Piepen gehört. Mein Freund F. wohnte mit einem Phreaker zusammen. Das spannendste war zunächst dieser Mitbewohner und was der so alles konnte. Der hatte zum Beispiel immer ein paar lange Vorwahlen parat, mit denen man "kostenlos" wer weiß nich wohin telefonieren konnte. Seine Geschichten waren natürlich noch aufregender als die der Informatikstudenten bei der Demo 1991. Jahre später hat er mir mal erzählt, wie viel Geld AT&T und Telekom von ihm haben wollte - da könnte eine Schulklasse mehrere Jahre von leben. (Letzten Endes kam er mit einer niedrigen fünfstelligen Summe aus der Kiste wieder raus.)
Mein erstes Bild, das ich mit dem Internet assoziiere, ist die Telefondose im Zimmer dieses Mitbewohners. Ein AMIGA, ein schwarzes US-Robotics-Modem, und eben diese Telefondose mit tausenden von bunten Kabelchen - bei der natürlich die Kappe fehlte. "So sieht eine anständige Telefondose aus, da muss ich doch ran!"
Auch sehr interessant war, dass dieser Mensch durch sein "Hobby" Bekannte und Freunde in ganz Europa hatte - was ich heute gut nachvollziehen kann. Natürlich waren diese Bekannten total spannend. Da gab's Geschichten von Menschen, die wochenlang nur von Zitronentee und Zigaretten lebten, weil das neue Modem oder Computerteil Geld für einen Monat gekostet hatte, oder was weiß ich. Oder der Spanier, der auf einmal nachts vor der Tür stand, nur um seinen Kumpel vor einer amerikanischen Ermittlung zu warnen. Muss wichtig sein, wenn man dafür mehrere Tage durch Europa juckelt.
Netz war also total spannend, Netz war eine Welt der anderen, eine Welt der Institutionen, Unis, Banken, Telefonmultis und Regierungen. Und es gab Menschen, die die diese Infrastruktur gegen ihre Bestimmung benutzten. Dieses Zwei-Welten-Bild habe ich später leicht variiert in den Geschichten aus der Unixwelt wiedergefunden.
Meinen ersten richtigen Computer habe ich aber erst 1994 gekauft, nach dem Abi. Vorher hatten immer die anderen einen Computer, ich selber nie. Den großen Neid von damals mache ich heute mit meiner Sammlung von Rechnern aus dieser Zeit wett. Heute kriegen die Menschen, die mich damals kurz an ihre Rechner gelassen hatten, in meinem Keller große Augen. Und das sind andere große Augen, als ich damals gemacht habe. Die sind nämlich nicht neidisch, so wie ich damals - gutes Gefühl.
Heute ist das Netz anders, Google findet nur noch "optimierte" Werbeseiten, Flash ist wichtiger als FTP und es gibt Blogs. DRM grüßt am Horizont mit der dicken Schranke und zig private WLAN-Accesspoints stehen sperrangelweit offen.
Ich glaube, es war 1984, also nochmal zehn Jahre früher. Ich besuchte ein ziemlich langweiliges Dorfgymnasium, und versuchte mal wieder, die Zeit zwischen dem Ende des Nachmittagsunterrichts und der Abfahrt des Busses nach Hause totzuschlagen. Da ereignete sich etwas Seltsames.
Ein Lkw stoppte auf dem Schulparkplatz, und sämtliche (!) Mathe- und Physiklehrer der Schule rannten in heller Aufregung dem Lkw entgegen, und begannen, in hektischer Eile Kisten zu schleppen.
Wenn Mathelehrer körperlich arbeiten, musste es mit dem Inhalt dieser Kisten eine besondere Bewandtnis haben, dachte ich mir, und näherte mich vorsichtig dem Ort des Geschehens. Eine Frage nach dem Inhalt der Kisten erübrigte sich, denn sie trugen groß und bunt ein Logo, das mir aus der Lektüre von Elektronik-Zeitschriften bekannt war: Einen regenbogenfarbig gestreiften, angebissenen Apfel. Sollten dies die Wunderkisten sein, von denen so viel geredet wurde? Apple-II-Computer? Und gleich so viele?
Um die Geschichte abzukürzen: Sie waren es. Und dank meiner Mithilfe beim Kistenschleppen ("Aber vorsichtig, bitte!") wurde mir dann die Ehre zuteil, auch beim Aufbauen helfen zu dürfen, und privilegierten Zugang zum Computerraum - die Handbücher wurden in einem Stahlschrank wie ein Staatsgeheimnis gehütet - zu erlangen.
Es kam dann was kommen musste, nämlich der erste Heimcomputer. Der war Marke TI, Typ 99/4A, und so in etwa das Beste, was man zu der Zeit für vernünftiges Geld bekommen konnte. Dass es eine typische Bastelmaschine war und meine Freunde alle den VC-20 oder C-64 (wer sich den damals leisten konnte) hatten, störte mich nicht.
Die Schreibmaschine kam wieder ins Spiel, als ich begann, meine ersten selbst geschriebenen Programme an die Heimcomputer-Zeitschriften zu verhökern, die damals aufkamen. Einen Drucker konnte ich mir zu dem Zeitpunkt nicht leisten, also wurden die Listings kurzerhand vom Bildschirm, äh: Fernseher, abgetippt. Dieser Zustand währte allerdings nicht lange, denn die gesammelten Honorare wanderten in die Anschaffung von Zubehör. Und neuer Computer. Darunter befanden sich dann u.a. ein Schneider CPC; neben dem TI-99 meine Lieblingsmaschine.
Irgendwann hörte ich dann auch etwas von der wundersamen Welt der Dfü (Datenfernübertragung), von Akustikkopplern, Modems und Mailboxen. Auf recht obskuren Wegen gelangte dann eines dieser "Flugblättchen" des Chaos Computer Club in meine Hände, die "datenschleuder". Darin schrieben sie, dass sie einen Schaltplan und eine vorgebohrte Platine für einen Selbstbau-Akustikkoppler hätten, das sog. "Datenklo".
Nun, löten konnte ich. Die Bauteilbeschaffung erwies sich als etwas schwierig, da der benötigte "Hauptchip" (ich weiß nicht mehr, wie der hieß) in Deutschland kaum zu beschaffen war; aber dank eines weitläufig Verwandten in Kanada war auch dieses Problem zu lösen.
Der erste gelungene Verbindungsaufbau zu einer (beliebig ausgewählten) Mailbox war ein erhebender Moment.
Zurück in die Gegenwart.
Die Zeiten haben sich geändert. DSL ist eine Selbstverständlichkeit. Ich nutze Internet-Telefonie (VoIP), und einen Massen-PC. Das Interesse an Kommunikation, oder gar an Systemveränderung, ist bei vielen der Leute, die ich damals kennen gelernt hatte, weitgehend erloschen. Viele Kontakte von früher existieren nicht mehr.
Ist das Internet ein Massenmedium? Es wird von Massen von Leuten genutzt: In diesem Sinne also eindeutig ja. Es ist aber immer noch ein Medium, das sich der Kontrolle der Konzerne und Regierungen weitgehend entzieht, wenn die Nutzer das wollen. Das lässt mich hoffen.
Technology's your friend! ;)