Man muss das kulturhistorisch sehen. All unsere Vorstellungen von Fleiß & Redlichkeit sind landwirtschaftlich geprägt. Ein Konzertpianist muss sich wie ein Bauer täglich bemühen, er muss immer üben, immer alert sein. Dementsprechend wird er nur von den ganz Dämlichen gefragt, was er denn sonst so "beruflich macht". Anders der Schriftsteller. Als Journalist, Fachjournalist gar, ist er so einigermaßen gelitten, als Lyriker verfällt er der Verachtung vollends. Seine Kunst kommt aus einer früheren Zeit, in der Sprachmagie wichtig war. Kein Wunder, dass bei Nomaden noch heute Schamanen so hoch im Kurs stehen. Der Konzertpianist benutzt ein hochartifizielles Gerät, der Lyriker hat nur seine Stimme, und vielleicht eine Leier, eine Trommel. Er gehört zu den Jägern, Sammlern & Fallenstellern, die allein mit Fleiß nicht weiterkommen. Sie müssen warten und blitzschnell aus dem Wartestand in eine konzentrierte Aktionsfähigkeit booten können, die nichts außer Arbeit kennt, und die eine umso tiefere Erschöpfung hinterlässt, umso ertragreicher sie war. Adorno meint genau das, wenn er schreibt: "Nulla dies sine linea, wohl aber Wochen". Dieser Lebensstil ist dem Ackerbürger verdächtig, auch Neid auf die angebliche "Freiheit" des von Stipendien, Gastdozenturen etc. lebenden Nomaden spielt eine Rolle. Die Verachtung der Moderne gegenüber dem Dichter ist auch die der Hauptstadtbewohner gegenüber dem Barbaren, der zwar ganz ansehnlich tanzen und singen kann, aber für Kunstdünger keine Verwendung hat. Interessanterweise ist von dieser Verachtung auch der Rockmusiker betroffen, ein moderner Schamane, der auch nur grölt und beschwört, statt artig Koloraturen zu trällern. Jetzt nützt es freilich wenig, aus der Not eine Tugend zu machen, und die Sprachmagie für das Eigentliche zu halten. Dabei kommt bestenfalls gepflegte Hinterwäldlerei heraus, schlimmstenfalls faschistischer Dreck. Es bleibt ein tragikomisches Dauermissverständnis im Normalbetrieb - Zuhörer, die nicht einmal wissen, warum sie unverschämt sind, und Lyriker, die nicht wissen, wie laut sie schimpfen dürfen, ohne zahlendes Publikum für ihre Schamanenkunst zu verlieren.






die alte geschichte von der ameise und der grille, und: die grille kann die ameise durchaus verzaubern.

meine vierjährige singt, dichtet, reimt, malt, rechnet, fantasiert, hüpft und spinnt den ganzen tag, bis zur erschöpfung. ich muss zusehen, dass ich mich abrackere, um ihr und uns diese freiheit zu ermögliclhen. manchmalmeistens bin ich zu müde, um neidisch oder kreativ zu sein.

der künstler ist in gewisser art das kind der gesellschaft.


Stimmt.