Die Drei von der Denkstelle - eigentlich ja ganz sympathisch
Neulich hatte ich mit meinen Freunden M. und R. eine Diskussion über die Matrix und die Postmoderne. M. war der Meinung, die Matrix müsse einer postmodernen Exegese unterzogen werden, R. glaubte immerhin, man könne sie so lesen, ich hielt dagegen, überhaupt nichts in und an dieser unserer Welt sei eine passende Zutat für die postmoderne Ratatouille. Es ging wild und leidenschaftlich zu (so sind wir), und nachher fasste ich meine Bedenken noch einmal zusammen.
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Immer noch sehr schön zu Wahrheit & Kunst (weil Adorno angeblich mit der Wahrheit nichts anfangen konnte), das Feenzitat.
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Die tiefinnige Beziehung der Postmoderne zur Esoterik war mir schon länger aufgefallen; der Hinweis auf die Zahlenmystik, die zur Entschlüsselung des "Verweissystems" in der Matrix angeblich nützlich ist, M., war sehr nützlich. Die Zahlenmystik ist ja der Modellfall einer "Philosophie", die Bedeutung dort simuliert, wo keine ist. Das Verfahren der Postmoderne ist damit auch sehr treffend beschrieben. Unverkennbar auch die Ähnlichkeiten des postmodernen Verweissystemgeschwurbels zu Rudolf Steiners Geisteswissenschaft: Das pompöse Herumsurfen auf phantasievollen Terminologien und pseudopoetischen Wortspielen (und die dazu passende Philologie), die Ablehnung nachvollziehbarer Kriterien für die Gültigkeit einer Aussage, die Legitimation der Theorie aus der dahingeraunten Erleuchtung des Autors u.a.m schaffen da schönste Verweise. Schwurbelmania galore!
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Die Postmoderne verhält sich zur Philosophie wie ein Zirkushypnotiseur zum Arzt. Nur der Arzt kann sich irren, der Hypnotiseur behält immer Recht - durch den Wahn, den er selber schafft.
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"Jouissance" ist Lacan, nicht Barthes.
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Sonderfall Barthes: Hervorragender Autor als "poetischer" Phänomenologe ("Die helle Kammer" usw.) - wenn er sich theoretisch verkünschtelt über den Aphorismus hinaus, wird's schwierig (der Körper als Text usw). Sehr bezeichnend dann Derrida über Barthes (z.B. "Die Tode des Roland Barthes"): nur noch Geschwurbel; verblasener, verquaster Quatsch. Was er über Marx zu sagen hat, ist von ähnlicher Güte. Baudrillard ist wieder ein anderer Kandidat, weil er ein Meister darin ist, aus sehr scharfsinnigen Beobachtungen die falschen Schlüsse zu ziehen ("Amerika").
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Immer wieder begeistert mich die Fähigkeit der Postmoderne, die den Musterfall einer modischen Hegemonialideologie darstellt, sich als Opfer, als Underdog, als Widerstand auszugeben. Wurde höchste Zeit, dass diese Selbststilisierung Löcher bekommt.
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Die Stars der Postmoderne waren Sophisten, denen man den Purpurmantel so lange hinterhergetragen hat, bis sie selber an ihre Amtswürde glaubten. Sophisten, die vor lauter Verwunderung darüber, dass man sie ernst nahm und vor lauter Bewunderung für ihr gedrechseltes Gewäsch zu Philosophenkönigen wurden. Wenn dann der Beschiß eine Zeit lang durchhält, wird er "klassisch". Ob das der Postmoderne gelingt, steht noch dahin.
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Sehr putzig auch die obsessive Bezugnahme auf "den Körper" in der Postmoderne. So einen verkopften Quatsch wie die Postmoderne hat nicht einmal Hegel hinbekommen, und das will etwas heißen.
Post-/Neostrukturalismus ist so wie Luhmann: Man braucht sehr lange und muss sehr viel lesen, bis man ungefähr erahnen kann, was diese Leute eigentlich meinen. Will man dann deren zuweilen durchaus originelle Ideen auf ein konkretes Problem anwenden, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man gibt das eigene Denken komplett auf und arbeitet sich robotisch an den existierenden Theoriemodulen ab - oder man nimmt all das Zeug zur Kenntnis und lässt es bleiben.
Entweder man gibt das eigene Denken komplett auf und arbeitet sich robotisch an den existierenden Theoriemodulen ab - oder man nimmt all das Zeug zur Kenntnis und lässt es bleiben.
So sieht's aus. Grade kocht das Thema im Zusammenhang mit der Matrix seltsam hoch. Man fragt sich, ob das jetzt wieder einen anderen Grund hat als die kommenden zwei Matrix-Filme.
Ehrlich gesagt halte ich das, Punkt für Punkt, für ahnungslosen Unsinn. Was mit dem Zusammenwürfeln sehr unterschiedlicher Autoren und Positionen zu etwas, das dann "Postmoderne" heißt, schon anfängt. Das ist, als schmisse ich, nur zum Beispiel, L. Ron Hubbard und Marcus Hammerschmitt zusammen, als Science-Fiction-Autoren (was natürlich geht und einen Punkt trifft das dann schon: aber das Wesentliche nicht, da gibst Du mir vielleicht recht).
So haben Baudrillard und Derrida etwa so gut wie überhaupt nichts miteinander zu tun. Freilich ist es, beim festen Glauben an den Zusammenhang des selbst ineinander gerührten Ratatouilles, einfach, den Unsinn, den Möchtegern-Vertreter einer verschwommenen "Postmoderne" verzapfen, einfach auf die großen Namen, die dergleichen nirgends behauptet haben, zurückzurechnen.
Zeigen ließe sich das, deswegen ist diese Kritik hier selbstverständlich polemisch, nur an genauer Textlektüre. An Ort und Stelle lässt sich über Sinn und Unsinn, auch über manche Eitelkeit der Meisterdenker diskutieren. Die Pauschalität des Verwerfens, geheftet an ein paar Oberflächlichkeiten des Text-Anscheins ohne ein einziges Zitat, diskreditiert sich aber, finde ich, selbst.
Na, aber recht hermetisch sind die Jungs zuweilen schon. Und das ist auch eine Gemeinsamkeit. Sie baden verdammt gern in lauwarmer Komplexität. Für mich ist die zentrale Frage, ob man z. B. Erkenntnisse aus der Sprachwissenschaft (Saussure) zur Problemlösung in Sozialwissenschaften (Lévi-Strauss) verwenden darf. Radikalisiert man dieses Denken, kommt hinten ein Baudrillard raus, der Kriege zu Simulationen erklärt. OK, das mag platt sein, aber warum formuliert er dann nicht so, dass man es nicht so verdammt einfach missverstehen kann?
Andererseits startete Derrida mit einer kritischen antizentralistischen Position. Das ist dann wieder gut.
Sagt ja keiner, dass sie nicht hermetisch sind, im Sinne von, zum Beispiel, höchst voraussetzungsreich (das ist z.B. Luhmann schon viel weniger, der ja alles in jedem neuen Buch noch mal von vorne erklärt).
Was ich z.B. für eine höchst wissenschaftsfeindliche (weil einfach ganz unfruchtbare) Einstellung halte, ist die Frage nach dem "Dürfen" (ich weiß, das nennt sich dann Wissenschaftstheorie): Saussure ist ein prima Beispiel, dann seine Erkenntnisse sind zu seiner Zeit ja alles andere als das gewesen "Erkenntnisse der Sprachwissenschaft"; vielmehr hatten sie mit der historischen Sprachwissenschaft, die er vorgefunden, die er in- und auswendig gekannt hat, gar nichts zu tun. Er hat da, buchstäblich, die existierende Wissenschaft auf den Kopf gestellt. Durfte er das?
Lévi-Strauss' Ansatz war der Versuch, das Feld, in dem er arbeitete, mit Hilfe eines Denkmodells, das diesem fremd war, neu zu strukturieren. Das ist ihm, mit beinahe unabsehbaren Wirkungen, gelungen: man wird auch schwerlich behaupten können, dass sein neuer Blick z.B. und vor allem auf Verwandtschaftsverhältnisse in Gesellschaften in irgendeiner Weise unergiebig gewesen sei.
Was zählt, würde ich, erst mal ganz simpel, mit Luhmann sagen, ist die Steigerung der Komplexität: die Ethnologie, um beim Beispiel zu bleiben, war hinterher nie wieder das, was sie zuvor war: zum Glück (womit ich nicht sagen will, dass sich - manche! - Texte von Malinowski z.B. nicht mit viel Gewinn lesen ließen. So wie die von Rousseau auch Derridas Dekonstruktion überlebt haben: aber man liest sie doch mit anderen Augen. Wie ja alle Texte die Dekonstruktion in dem Sinn "überleben", das dekonstruktive Lektüren Anreicherungen und nicht Zerstörungen sind.)
Zu Baudrillard: Ich glaube nicht, dass es sich da um Missverständnisse handelt. Sein "Simulacrum"-Begriff ist eine höchst unscharfe Angelegenheit - geteilt aber wird er weder von Derrida noch Barthes, weder von Luhmann (da gibt es im Medienbuch allerdings seltsame Stellen) noch von Deleuze. Könnte, müsste man wie gesagt, am Text zeigen.
Antizentralistisch ist Derrida übrigens bis heute: nur hat er die politische Seite dieses Antizentralismus inzwischen entschieden radikalisiert. Aber das muss ja auch nicht schlecht sein.
Ist es wissenschaftsfeindlich, eine vorgenommene Übertragung in Frage zu stellen? Kritik ist in der Wissenschaft nicht unwichtig, meine ich.
Die Welt ist halt nicht nur Text. Darum funktioniert die Dekonstruktion bei Texten (Lévi-Strauss' Mythen) gut, an der sozialen Wirklichkeit, finde ich, muss sie scheitern. Aber, OK, das müsste man ausführen. Am besten in einer 1.000seitigen Habilitationsschrift.
Zugegeben, das war etwas kurzschlüssig. Wissenschaftsfeindlich finde ich die immer komplexitätsreduzierende wissenschaftstheoretische Unart, Vorschriften zu machen à la: das darf man nicht. (Gerichtet ist das natürlich gegen Positionen des Kritischen Rationalismus, die ihre logische Weisheit mit Löffeln gefressen haben und sich daher mit so vielem gar nicht erst auseinandersetzen müssen. Und wenn, dann im Ton gütiger Herablassung.)
Dass die Dekonstruktion keine Soziologie ist (und die Luhmannsche System- keine Texttheorie) finde ich auch. Allerdings ist - nach Derrida - die Welt auch nicht "nur Text", sondern entkommt in allen Beschreibungsversuchen den Aporien nicht, die sich an Texten auch zeigen lassen. Wie ein Text ist die Welt, würde Derrida sagen, etwas, das sich dem festen Zugriff zum Beispiel durch Begriffe immer wieder entzieht. (Empirisch hilfreich ist diese - wie ich finde - ganz zutreffende These allerdings nicht: man könnte eher darauf kommen, dass sich die "soziale Wirklichkeit" vielleicht gar nicht fassen lässt. Damit erübrigt sich empirische Wissenschaft nicht: manche ihrer Selbstverständlichkeiten aber sehen etwas bedenklich aus.)
Und wie eine dekonstruktiv aufgeladene Systemtheorie durchaus Soziales in den Blick bekommt, das zeigt immer mal wieder Peter Fuchs.
Ok, aber ich werde diese Habilitationsschrift nicht schreiben (und hoffentlich überhaupt nie nicht irgendeine...):
Kritischer Rationalismus... Jaja, die Popper-Fans, das sind sowieso meine Darlings.
Ich komme ja eher von der soziologischen Systemtheorie her. Es ist interessant, wie sich Strukturalismus/Neo-/Poststrukturalismus und Systemtheorie zum Teil parallel entwickelt haben und dabei zu recht ähnlichen Positionen gekommen sind, wo sie sich gegenseitig befruchten und wo sie über Kreuz liegen. Aus Dekonstruktivismus und Neostrukturalismus nehme ich gern das Subversive mit. Das kann man wirklich brauchen.
Hoffst du auf eine Junior-Professur? ;)
Stichwort: Hegel
Wer stellt die Postmoderne vom Kopf auf die Füße? Auch etwas verquaste Lehren können bisweilen unverhoft kritisches Potential entwickeln.
@knoerer
Sokal/Bricmont bieten mehr Zitate, als man auf Anhieb gerne lesen möchte. Und der Titel ihres Buchs sagt das meiste: Eleganter Unsinn. Primärtexte: Ich hab was da, es reicht mir. Sich in den Jargon einer Sekte hineingearbeitet, sich für eine Fraktion dieser Sekte entschieden, mitgefiebert, mitgehofft, mitgebetet zu haben und dann festzustellen, dass so viel von all dem Unsinn war: Es ist schmerzlich. Manche sollen nach ihrer K-Gruppen-Karriere ähnliche Erfahrungen gemacht haben.
@callmeismael
Wer stellt die Postmoderne vom Kopf auf die Füße? Auch etwas verquaste Lehren können bisweilen unverhoft kritisches Potential entwickeln.
Sehr gut. Wer reibt sich an den Sophisten der Postmoderne so, dass die Reibungshitze Philosophie erzeugt?
Sokal und Bricmont gehen aber so ran: "Wir, die Naturwissenschaftler, die wir im Besitz der letztgültigen Wahrheit sind, richten nun anhand einiger Beispiele über diese trotteligen Franzosen." Das Buch war mir persönlich am Ende auch zu simpel.
Geschmackssache. Ich fand ihre Auseinandersetzung ernsthaft, und weil sie ihren Pappenheimern nachweisen konnten, dass sie oft die simpelsten Grundlagen, ja sogar die Themen ihrer Einschüchterungsprosa nicht verstanden haben, trägt der von ihren Gegnern gern erhobene Vorwurf der Simplizität nicht sehr weit. (Deiner mag ein anderer sein, ok). Übrigens würde ich die Komplexität des Kapitels zum Mißbrauch der Relativitätstheorie gern erst noch einholen.
Ne, es ist schon gut, dass die Leute mal eins aufs Dach gekriegt haben, damit sie nicht mehr wie die Blöden mit Buzzwords um sich werfen, die sie offensichtlich nicht verstanden haben. Aber zu sagen, dass die ganze als "postmodern" identifizierte französische Philosophie Schrott ist, weil Baudrillard, Deleuze , Lacan und Virilio etc. (die keinesfalls einer einheitlichen Denkrichtung zuzuordnen sind!) gravierende Bugs in ihrem Verständnis von physikalischen Phänomenen haben, die im Übrigen für ihre zentralen Theorien überhaupt keine Rolle spielen, halte ich für voreilig.
Moment. Sokal/Bricmont beschränken ihren Vorwurf streng auf den Mißbrauch der Naturwissenschaften, wissen aber ganz genau, dass sie damit den zentralen Punkt treffen: die postmoderne Taschenspielerei mit der Wahrheitsfrage. Es scheint, als sei die Kritik am Jargon die am Akzidenz, in Wirklichkeit trifft sie die Substanz, die der Jargon selber ist.