Dass sie nicht begreifen, wie die Rhetorik der Künstlichen Intelligenz längst gewonnen hat:

Computer "machen" ständig die erstaunlichsten Dinge. Sie "sammeln" anscheinend selbständig Information, "manipulieren" sie und "verteilen" sie wieder an uns zurück. Sie. Die da. Die Herren der Welt. Computer sind schon Subjekte, noch bevor sie es sind, weil die Sprache mit ihnen nicht zurechtkommt. Die Welt ist ja ohnehin immer mächtiger als die Sprache, aber bei den Computern wird das besonders augenfällig. Ihre halbe Autonomie, das leblose Leben, das sie von ihren Ingenieuren geborgt haben, verleitet die Sprache, ihnen Handlungskompetenzen zu unterstellen, die sie nicht haben. Ein Rechner rechnet, aber wer ist es, der da rechnet? Da er es "tun" kann, ohne ständig wie ein Abakus gehandhabt werden zu müssen, wirkt er schon wie einer, der rechnet. Deep Blue spielt nicht Schach, aber er schlägt Kasparow. In manchen Sprachen gibt es außer dem Singular und dem Plural auch noch den Dual, eine Beugungsform der Substantive, die ausschließlich paarweise auftretende Dinge, Tiere oder Menschen bezeichnet. Im übertragenen Sinn fehlt der Sprache der Dual für Dinge, die zwischen reinen Sachen und geistigen Entitäten liegen, daher kann sie von Computern nur anthropomorph sprechen. Dieser Mangel der Sprache und die perverse Erotisierung des Computers als Phallussymbol und kalter, wehrloser, technischer Geliebter gehen ein seltsames Bündnis zur Vermenschlichung der Maschinen ein, wenn die User sagen: Komm schon, Baby. Es war schon früher so, dass Maschinen anthropomorphe Liebkosungen angezogen haben, der Bogen Odysseus’ war in der Hand des Helden schon lebendig, wer je sein Auto streichelte oder küsste, erkannte den Motor der modernen Liebe. Aber erst der Computer ist wirklich dort: genau zwischen den Stühlen, mitten im Schattenreich der maschinellen Persönlichkeiten. Die Sprache wünscht sich mehr Eindeutigkeit, sie fiebert die emergenten Intelligenzen herbei, die aus dem Tango von Hard- und Software entstehen sollen, damit endlich ihre Schande getilgt ist, mit diesen Zwittern da nicht fertig zu werden. Der Sprache fehlen die rechten Begriffe für die digitalen Zombies, die unsere digitalen Zuckerrohrplantagen abernten, die Fähigkeiten der Computer fallen in ihre ratlosen Zwischenräume.

Aus meinem Essay "Kaltstart".






Denken Computer, oder tun Computer nur so? Solange Programme durchschaubar bleiben, wie z.B. Schachprogramme, wird uns die Kategorisierung leicht fallen. Bei einer Software aber, die selbst für ihre Entwickler nicht mehr voraussehbar arbeitet, weil sie keinen »harten« Algorithmen folgt, wird das schon schwerer, die alte Frage nach dem Bewusstsein eben. Wir sind ja als Einzelne angewiesen auf Vermutungen, stille Annahmen, gehen bei bestimmten Beobachtungen automatisch von einem Bewusstsein unseren Gegenübers aus, der vermenschlichte PC gleicht dem vermenschlichten Tier. Bleibt uns ja auch nichts anderes übrig, denn sicher wissen können wir nicht, nicht einmal bei unseren nächsten, kaum bei uns selbst. Gibt ja Leute, die meinen, dass das, was wir als Bewusstsein empfinden, nichts weiter ist, als die Selbstbeobachtung eines, unseres, Programms.

»Kaltstart«, ein schöner Text, ist der im Ganzen irgendwo zu finden?



Denken Computer, oder tun Computer nur so?

Das alte Problem des Bewusstseins anderer Leute. Was mich stört ist der vorauseilende Hype, der durchaus interessegleitet ist. Wie ich in einem anderen Essay ("Blinde Spiegel") schrieb:

"Wem das Humane am Herzen liegt, der ist gut beraten, nicht auf unveräußerlichen "Fähigkeiten" der menschlichen Intelligenz zu beharren, die "niemals" durch eine Maschine nachgestellt werden könnten. Vielleicht ist das der Fall, vielleicht auch nicht. Viel wichtiger ist die Tatsache daß diejenigen, die die künstliche Intelligenz herbeizwingen wollen, Teil der gesellschaftlichen Kräfte sind, die die Definitonsmacht über Begriffe besitzen - ob sie das zugeben oder nicht. Die Behauptung, daß all diejenigen unveräußerlichen "Fähigkeiten", wie Kognition, Intuition, künstlerische Begabung, Gefühle, usw. sehr wohl eines Tages durch Computer zumindest so glaubhaft dargestellt werden könnten, daß sie Menschen betrügen, kommt den KI - Forschern so leicht von den Lippen, weil sie die Macht in ihrem Rücken wissen, die diese Begriffe zu Münzen im Spiel um gesellschaftliche Hegemonie macht. Wir haben es mit Falschmünzern zu tun, die ihre Nickelbleche und ihr Katzengold für das Echte ausgeben können, weil sie zu den Betreibern der Staatsbank gehören. Wer unter diesen gesellschaftlichen Bedingungen denen, die an ihrer eigenen Natur müde geworden sind, "Unveräußerliches" vorenthalten möchte, gibt es ihnen preis. Er beliefert sie mit den Stichworten, die eines Tages, mit Bauplänen unterfüttert, die Kampfbegriffe gegen seinen gutgemeinten Konservatismus abgeben."

Kaltstart ist noch nicht als ganzer Text greifbar, aber vielleicht bald.


»denen, die an ihrer eigenen Natur müde geworden sind«, das find’ ich höchst interessant; die Motivation hinter der Sehnsucht, den Menschen maschinell abzubilden, noch nie darüber nachgedacht.


Ich hatte bei Leuten wie Minsky und Moravec immer diesen Eindruck.


wohl gesprochen!

dieser neigung, die "künstliche intelligenz" herbeizwingen zu wollen, liegt vermutlich schlicht materialistisches effizienzdenken zu grunde. aber selbst menschen, die sich gänzlich uneffizient durchs leben wursteln, singen dieses lied ja mit. manchmal denke ich, daß die fähigkeit, selbst einfachere zusammenhänge analysieren zu können, angesichts der tatsächlich immer komplizierter werdenden lebenswelt vor lauter minderwertigkeitsgefühl zu einem nichts zusammenschnurrt...

da ist es doch schön, sich mit dingen zu umgeben, die schnell und genau sind, und sich an alles erinnern können, und auf alles eine antwort haben.



dieser neigung, die "künstliche intelligenz" herbeizwingen zu wollen, liegt vermutlich schlicht materialistisches effizienzdenken zu grunde.

Hab seit damals noch ein wenig nachgesessen, was die Zusammenhänge zwischen Produktivität & technologischer Innovation in unsere Wirtschaftsform angeht.


Vielleicht

auch der Versuch von Technikern, dieses widersprüchliche, fehlerbehaftete Leben endlich durch den "Golden Code" (Version 2.0?) zu ersetzen. Nur noch schnell das Update für den Patch einspielen.


Yeah, und das nächste, und das nächste und das nächste ... Ist schon immer interessant, die Szene. Wenn man bedenkt, dass es den Palm heute auch deswegen gibt, weil Jeff Hawkins 1988 zu wissen glaubte, wie menschliche Intelligenz funktioniert. Und wenn man sieht, wie klar schon heute ist, dass Intelligenz und Fehleranfälligkeit grundsätzlich zusammenhängen (weswegen ich immer erschrocken bin, wenn Computer auf "kreative" Weise Fehler machten) - ach, 's bleibt interessant.


Also das was ich als Informatiker hier an der Uni von KI oder AI oder auch CI (Jetzt ganz neu! Computational Intelligence) mitkriege ist eher noch ein Rumgemurkse auf atomaren bzw. molekularem Niveau. HAL-artiges, wie ich es hier meine angesprochen zu sehen, gehört wohl eher in die Visionen der 50er, 60er und vielleicht auch noch 70er. Allerdings gebe ich auch als erster zu nicht so den Überblick zu haben. Weswegen ich auch an MHs Text interessiert bin.


Nicht zuviel erwarten. "Kaltstart" beschäftigt sich nicht extensiv mit KI, sondern ist eine erweiterte "Computerautobiographie", Ausschnitte daraus sind vor zwei Jahren in der c't erschienen. Ich habe den ganze Text ein wenig aufpoliert, aktualisiert und gestrafft, er soll demnächst als E-Book herauskommen. Blinde Spiegel ist zwar ein Text zur KI, stammt aber im Kern von 1993. Er hat ein paar nette Ecken, ist aber in mehrfacher Hinsicht hoffnungslos veraltet.


Naja. Man muss auch da die Klingler von den anderen unterscheiden. Wie tim auch schon sagt, von intelligenten Computern redet doch niemand mehr ausser den paar 68ern und etwas langsamen Medien; in der KI-Forschung geht es eher in ein anderes Extrem: bottom-up wird erstmal mit den kognitiven Leistungen der Stubenfliege angefangen. Auf der anderen Seite benutzt auch Google Techniken der KI-Forschung im weitesten Sinne. Hm. Jetzt lese ich den Exzerpt aus Blinde Spiegel nochmal, aber es gelingt mir nicht, einen Sinn zu extrahieren. Klingt aber schön.


Hab seit damals noch ein wenig nachgesessen, was die Zusammenhänge zwischen Produktivität & technologischer Innovation in unserer Wirtschaftsform angeht.

das habe ich nicht verstanden. zu kurz gegriffen? eher nicht - materialistische gründe für die suche nach ki?

oder doch nur der dringende rationalisierungswunsch, die spektralanalyse von motorgeräuschen per expertensystem zur fehlerdiagnose heranzuziehen (ist schon ein paar jahre her, VW glaube ich)...


@der: "AI is what you can get away with". Für die Inspiration zu diesem Spruch danke ich Anke Gröner, die wiederum inspiriert wurde von Marshall McLuhan.

@typ.o: Ich meinte die materialistischen Gründe für die Suche nach KI.


lieber herr mh, dieser schlenker Zusammenhänge zwischen Produktivität & technologischer Innovation in unserer Wirtschaftsform beschäftigt mich jetzt, da ich annehme, daß sie auf andere theorien als in den blauen bänden anspielen, die sie beim nachsitzen gefunden haben :-) können sie mir da einen tip zum suchen geben?


Es waren schon eher die blauen Bände. Wobei sich mir (wahrscheinlich aufgrund meines nur partiellen Verständisses derselben) neulich auch hier die Frage gestellt habe, ob Marx "echte" KI nur weiterhin als Produktionsmittel betrachtet hätte, oder ob sie im das Problem aufgegeben hätte, über die Bestimmung, nur die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft schaffe Mehrwert, neu nachzudenken.


magie

die prozesse, die sich in einem modernen pc vollziehen, selbst wenn nur ein einzelner tastendruck zu einem neuen buchstaben im aktuellen fenster führen soll, sind ja wirklich überraschend kompliziert, und für einen laien noch nicht einmal ansatzweise nachvollziehbar.

deswegen rücken hier magie und technik eng zusammen, denkt man, die paßworte und accountdaten sind den zaubersprüchen noch am offensichtlichsten ähnlich, aber selbst jede telefonnummer ist ja ein abrakadabra um mit dem entfernten menschen sprechen zu können, und wenn es nicht klappt bleibt nur ohnmacht - im film bis dato hartnäckig durch das nutzlose auf - die - gabel - hämmern dargestellt ..

das herunter- und wieder hochfahren eines rechners, weil er irgendwie so hakelig läuft, oder der finale exorzismus neuinstallation - eigentlich ähnlicher einem regentanz als der bewußten beherschung eines gerätes.

das man mit solch einer mit leih-geist versehen maschine spricht - naheliegend.

ich erinnere mich jetzt an ein gespäch über dieses thema mit einer bornholmerin, die abends immer ihren trollen ein schälchen milch in den wald stellt. sie fand das unmittelbar einleuchtend :-)


weiß jemand wo diese fundstelle hingehört:

sinngemäß: bei genügend hochstehender entwicklung wird jede moderne technologie von magie prinzipiell ununterscheidbar?


Jene Bornholmerin, die abends immer ihren Trollen ein Schälchen Milch in den Wald stellt, die find ich klasse.


Da fahrn

Sie ma nach Island, da werden Straßen um Elfenwohnorte herumgebaut.


ich fand die auch klasse, aber das gehört nicht hierher g



Meine Quelle wäre der SF-Autor Larry Niven - er hat neben grottenschlechten Romanen einen recht amüsanten geschrieben (Die fliegenden Zauberer), der genau auf dieser Prämisse fusst, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie wirklich auf seinem Mist gewachsen ist. Da heute der Tag des Selbstzitats ist, hier noch eines zum Thema Magie & Technik aus Instant Nirwana (the book, not the blog):

Den Gläubigen verwandeln sich unverstandene Fetische der Wissenschaftskultur in animistische Fetische der herkömmlichen Art. Regression macht aus den Symbolen einer marktgesteuerten Aufklärung Altäre des Okkulten. Die Medien werden zu Medien. Die Geister melden sich nicht mehr in Seancen zu Wort, sondern in Radio- und Fernsehsendungen, hinterlassen ihre Spuren auf Tonbändern und Computerdisketten. Ein Geist, der wirklich etwas auf sich hält, spukt heutzutage im Internet. Swedenborg, Blavatsky und Steiner wären heute umgeben von Computersystemen, die den Zugang zur Geisterwelt automatisieren und so der Geisteswissenschaft erst die rationelle und ökonomische Durchschlagskraft verleihen, die aggressives Marketing heute verlangt. Einem Publikum, das nur noch halbgebildet sein kann, verkaufen die Quatschologen ihre Produkte mithilfe der neuesten Strategien. Wahn und Methode gehen in der modernen Technik eine neurotische Symbiose ein. Dem Torfaufkleber auf dem Handy, der gegen Elektrosmog schützen soll, entspricht das computererstellte Horoskop, das noch genauer und noch bestimmter die nichtvorhandenen Einflüsse der Sterne auf die Dinge hienieden berechnen soll. Die mittelalterliche Frage danach, wieviele Engel eigentlich genau auf eine Nadelspitze passen, kehrt im Gewand der lichtlosen Lichtgeräte mit Computertastatur, der Computerhoroskope und ähnlicher Spiegelfechtereien zu einer Menschheit zurück, die es gerne besser wüßte, aber nicht weiß. Es sind rationale Verkaufsstrategien des Irrationalismus. Sie möchten alle gern wie Jesus übers Wasser wandeln und sehen dabei aus jemand, der mit Schlittschuhen einen Zebrastreifen überquert. Schadenfreude erübrigt sich. Wieviele Programmierer haben nicht irgendwann einmal ganz im Hinterkopf die Idee bewegt, die Maschine lebe doch? Die Installation von Windows 95 kann durchaus die Idee fördern, der Computer sei von einem bösen Geist besessen. Wer vom Normalpublikum weiß denn schon genau, wie ein Fernseher wirklich funktioniert? In die Lücken unseres Wissens, das nicht vollständig sein kann, drängen kindliche Erklärungsmuster, die so weit nicht von der Idee sind, in dem Kasten sitze ein Mann und sage das Wetter an. Unter bestimmten Umständen könnten noch viele zu der Idee verleitet werden, daß Gott aus dem Fernseher spricht, wenn man nur genau genug hinsieht. Computerisiert feiert der Beschiß globale Urständ.


Fundstelle

angeblich A. C. Clark, z. B. hier.


So geht Internetz.


die fortwährende kränkung

durch die maschine, die "das alles" soviel "besser" kann, das wäre auch noch so ein thema.


Kränkung als Chance, sein Selbstbild als puren Algorithmus in Frage zu stellen, müsste eigentlich aus reinem Selbsterhaltungstrieb zwangsläufig geschehen, spräche für eine Rückkehr des Glaubens mit fortschreitender Stärke der maschinellen Intelligenz.


Die Reaktanz der Loser - durchaus wahrscheinlich.


Ja, abba

was ist mit Cyborgs? Mensch nach Tuning durch Implantate, Gentechnik, Biotech, Aktivierung des brachliegenden Gehirnpotentials? Ist das nicht eher realistisch, eh die KI-Fuzzis etwas mehr als ein Schachcomputer auf die Beine stelln?


Weiß nicht - jemand auf dem laufenden?


mein eindruck ist in diesem bereich, daß die ankündigungspropaganda hier noch irrealer ist als bei nanotech und ki: immer wieder gleiche meldungen "jetzt ganz neu: chip mit zellen drauf fertig" etc ...

im detail ist das alles wesentlich komplizierter als man sich so vorstellt. am ehesten gibt es da wohl was am ohr, auge ist deutlich anspuchsvoller, denkt man, und wenn es um das gehirn selbst geht, scheint der stand der dinge eher die beobachtung des aktivitätspotentials mit thermografie und kernspintomografie zu sein, und das ist ungefähr so, als versucht man durch lauschen am ottomotor etwas über die funktion zu erfahren...

außenherum, ja: zentnerschwerer kampfanzug mit datenhelm und dergl...


Da

in der Technology Review hatten sie was dazu, aber das Ding ist mir zu teuer.


Also ich war mal bei so einem Vortrag von sonner Hirnforscherin und die meinte das es wegen der arg vielen Verknüpfungen welche ja so ein Hirn in der Hauptsache ausmachen noch einige Zeit vergehen wird, bis da interfacemässig überhaupt die Möglichkeit besteht, dass da eventuell mal was passieren könnte. Andererseits haben die vom Fraunhofer Institut uns erzählt, dass zumindest die Geräte, mit denen man die Hirnströme analysieren kann ganz schöne Fortschritte machen. So gibt es wohl schon einzelne Personen, denen es mit gewissen Geräten gelungen ist, per Gedanken einen Mousezeiger zu steuern. Leider für beides keine Quellen am Start.


schnittstellen ans hirn

ich habe jetzt mal eine bekannte gefragt, die hirnforscherin ist, und unter anderem diesen populärwissenschaftlichen artikel zum thema sehrinden - stimulation bekommen, und einen hint, mal nach herrn mussa-ivaldi zu suchen, der in diesem bereich führend ist.

das nur noch zur abrundung der diskussion, denke ich.