1) Es ist mir vollkommen egal, ob Sebastian Lütgert schon 2002 Anwaltspost erhalten hat.
  1. Selbstverständlich ist legal, was die Anwälte tun, aber es ist nicht legitim.

  2. Das Urheberrecht dient überwiegend nicht dem Schutz der Rechte der Urheber, sondern dem Schutz der Verwerterinteressen, was das deutsche Recht vielleicht nicht wahrhaben will, die deutsche Wirklichkeit aber schon. In diesem Fall ist das noch offensichtlicher als sonst.

3a) So wie die Dinge liegen, bleibt mir nichts anderes übrig als das Unterwiegen: auf Dauer beschissen.

3b) Bei den jetzigen Macht- und Verdienstverhältnissen im Printgewerbe ist nahezu jeder legale Abdruck ein Raubdruck.

3c) Wer das für bloße Polemik hält, darf sich gern einmal das Urheberrecht, das immer mehr einer Festung gleicht, im Vergleich mit dem Urhebervertragsrecht ansehen, das einer Kodifizierung von Mindestlöhnen ("angemessene Vergütung"), einer Gleichstellung von Produzenten und Verwertern und anderen Kinkerlitzchen auf mysteriöse Weise so nachhaltig widersteht, zuletzt noch einmal vor der letzten Bundestagswahl. Der Vergleich ist ungemein klärend, wenn man wissen will, wessen Interessen hier eigentlich bedient werden, in der Festung und auf dem angegliederten Sklavenmarkt.

  1. Texte von mir tauchen im Netz auf. Da bin ich froh, denn das heißt, dass mich jemand hört. Selbstverständlich prüfe ich, ob die Verwendung dieser Texte ihrem Zweck angemessen ist. Ich prüfe, ob jemand mich abneppen will oder mir schadet. Und wenn das nicht der Fall ist, lasse ich den Wind wehen. Übrigens: Wenn ich jede Urheberrechtsverletzung verfolge, die mir widerfährt, habe ich keine Zeit mehr für etwas anderes. Freilich kann ich keine Anwaltskanzlei mit der Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen beauftragen.

  2. Adornos Werke sind im Jahr 2004 nicht gemeinfrei? Sie sollten es aber sein. Zu unser aller Nutzen.

  3. Die Maxime "Gleiches Recht für alle!", das wird mir immer klarer, verliert beim Urheberrecht jeden Sinn. Wenn sie zehn Millionen Mal verkauft worden sind, hat Madonna nicht mehr das gleiche Recht an ihren Songs wie am Tag der Pressung. Irgendwann ist abbezahlt. Und es klingt paradox, aber wenn ein Werk zu wichtig für die Allgemeinheit geworden ist, gehört es nicht mehr seinem Schöpfer. Schon gar nicht fünfunddreißig Jahre nach seinem Tod. "Angemessenheit" ist ein schönes Wort.

  4. Man kann es drehen und wenden, wie man will, das Urheberrecht ist am Ende. Wir werden uns darüber unterhalten müssen, wie künstlerische & philosophische Arbeit ohne es gewährleistet werden kann. Wann abbezahlt ist. Und darüber, wer schon genug hat, und wer noch was braucht. Und über Eigentum an immaterriellen Produktionsmitteln.

  5. Nein, bin kein Fan von Hermann van Veen, und auch dieses ganze Lied ist von der typischen Gefühligkeit bestimmt, die den guten Mann auszeichnet. Aber es steckt doch eine Wahrheit darin.

  6. Das Verhalten der Anwälte von Reemtsmas Stiftung ist profund unlässig, aber so sind Juristen nun einmal. Das größere Problem ist: Es ist auch profund netzfeindlich.

9a) Das Beharren der Stiftungsanwälte auf dem Verwertungsrecht an den beiden Adorno-Texten widerspricht dem Stiftungszweck.

9b) 1969 musste der Fischer-Verlag durch das Zirkulieren von Raubdrucken zu einer Neuauflage der Dialektik der Aufklärung gezwungen werden, und zwar gegen den Willen von Max Horkheimer. Macht das jeden Raubdruck gut? Bestimmt nicht.

  1. Kann es sein, dass Sebastian Lütgert taktische Fehler gemacht hat? Geschlampt? Geschlafen? Kokettiert? Provoziert? Aber sicher doch. Und ich will trotzdem nicht, dass er deswegen in den Knast kommt. Das wollte mir noch nie in den Sinn, dass einer, der in einem Konflikt kein reines Opfer mehr ist, keine Unterstützung mehr verdient. Ja, hab schon gespendet, wenn auch wenig genug.





gefuehligkeit,

haha.


danke dafür.

ich selbst war bei der diskussion aufm sofa einigermaßen fassungslos, was da teilweise rausposaunt wurde, selbst aber zu träge oder auch nicht bereit genug, dazu was zu äußern.


In dem ddb-Link (9b) heißt es: Der neue § 108 a UrhG erklärt den Raubdruck zum "Offizialdelikt". Ist irgend ein anderes Eigentumsdelikt Offizialdelikt?


vielen dank für den inhaltlichen einstieg in die debatte! vielleicht wäre es nicht schlecht, wenn reemtsma (in der regel gut über das institut für sozialforschung zu erreichen) auch eine kopie davon kriegte. oder ein anderer weg, damit die debatte nicht nur im internet geführt wird.


Es ist auch profund netzfeindlich. Es ist wie mit der Zensur im Netz usw.: Diese alten Zöpfe behindern doch letztlich auch die technische / wissenschaftliche / ökonomische Entwicklung, nicht? (Darin liegt vielleicht eine Hoffnung: dass dieses ganze Reglement aus Vor-Netz-Zeiten über kurz oder lang einfach verschwinden muss. Ach, was sind wir wieder optimistisch heut.)


Ich glaube, das muss man auseinanderhalten. Zensur wird es weiterhin geben, und entgegen der idealistischen Sichtweise des Grundgesetzes und der cyberlibertären Maxime, dass alles geht, wird es sie immer geben müssen (ziemlich off-topic, aber ich bin sehr dafür, "Mein Kampf" undruckbar zu halten till hell freezes over). Eine sinnvolle Zensur? Ich habe mir in der Kurve seinerzeit einige Gedanken dazu gemacht - weit gekommen bin ich nicht. Dennoch steht außer Frage, dass es Inhalte gibt, die immer zensiert werden müssen.

Aber was mit dem Netz und dem Urheberrecht passiert, ist (in alten Begriffen): dass die Rebellion der Produktionsmittel gegen die Produktionsverhältnisse entweder eine Veränderung der Produktionsverhältnisse erzwingt, oder der Konflikt zum Schutz der alten Produktionsverhältnisse gewaltsam gelöst wird, legal, außerlegal, scheißegal. Da zählt dann nämlich plötzlich überhaupt kein Recht mehr. An diesem Punkt stehen wir, und der Konflikt ist nicht entschieden, Wetten würde ich für keines der möglichen Szenarien abschließen. Dass die Anwälte von Reemtsmas Stiftung objektiv (noch so ein alter Begriff) als Verteidiger des ancien régime auftreten, ist schon interessant. Und es gäbe selbst für Anwälte so schöne Möglichkeiten, diesen Konflikt zu regeln, ohne blind und fröhlich eine Revolution auszurufen, die nie kommen mag.


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