Michael Herrmann ist ein Dichter. Er ist wie ich Mitglied im Tübinger Holzmarkt:

1 | 2 | 3 | 4 | 5

Ich kenne ihn seit zehn Jahren. Man könnte auch sagen, ich werde seit zehn Jahren von ihm kontaminiert. Vieles von dem, was sich über ihn sagen lässt, führt auf die falsche Fährte. Zum Beispiel, dass er über Celan promoviert. Manchmal arbeitet er abhängig, dazwischen veröffentlicht er nicht. Neulich habe ich ihn mir in Oxford vorgestellt, vergrübelt an einer Zigarette saugend (er raucht sehr viel), in Gedanken vor der Sprache. Vielleicht ist er aber einer der französischen Postpostmodernen, in einem kleinen Büro voller Bücher, Rue des Manteaux Blancs, blinzelnd, wenn ein übriggelassener Engel der Erkenntnis ihn nur so streift. Sehen Sie, jetzt haben Sie ein ganz falsches Bild von ihm. Wahrscheinlich ein vergeistigtes.

Sein neues Buch heißt "Die Ferien des Dr. Tulp". Ich muss es erst noch nicht mehr verstehen wollen. Es ist sehr schmal, und die Buchstaben wurde überaus sparsam verwendet, was den Mehrwert steigert. Man nehme die Warnung, die dem Rest vorausgeht:

Und Gott sah an alles was er gemacht hatte und siehe da es war sehr gut.

Genesis 1, 31

  1. Der Detektiv darf nicht selbst das Verbrechen begehen.

Ronald A. Knox: Zehn Regeln für einen guten Detektivroman

Aber natürlich hat die Bedeutung viel früher angefangen. Wenn man dem Buch nämlich das rot bedruckte Japanpapier wegnimmt, das ihm als Umhüllung dient, nimmt man ihm auch den Namen des Verfassers, die "Gesammelten Bruchstücke", den Schattenriss des Dr. Tulp, und die "Bösenlustnauer Presse". Hintendrauf fehlen einem zehnzeiligen Gedicht plötzlich sieben rote Zeilen. Und natürlich grundsätzlich: das viele Weiß. Und, dass man die Seiten aufschneiden muss, die wenigen. Kein Zufall, glauben Sie es nur.

Ich habe "Rest" gesagt, weil ich es so meine. Im Winter gibt es Futterkrippen für die Tiere des Waldes. Sie kommen und fressen. Auf dem Boden um die Krippe herum verstreut liegt, was zu Boden fiel. Wer das genau lesen könnte, wüsste alles über den Wald, die Tiere, das Futter, die Her- und Bereitsteller des Futters, u.v.a.m. "Die Ferien des Dr. Tulp", stelle ich mir vor, sind wie das Tupfmuster des fallengelassenen Futters im Schnee. Daher das Übermaß an Bedeutung in ihnen. Daher die Verwandlung des Lesers in einen Detektiv. Daher der Winter. Das mit dem Detektivroman kann man für bare Münze nehmen. Er ist enthalten.

Klirrende Kälte Nachts ist der Atem gefrorn Die Scheibe erblüht

Dienstag: Beginn der Observation

Michael Herrmann würde das übrigens nicht mögen, diese Sternchen, die ich hier setze. Sie symbolisieren nur Abstand zwischen den Textbestandteilen. Blenden Sie sie bitte aus.

eine Schneeflocke jagt eine Schneeflocke treibt eine Kirschblüte

Freitag: neue Verdachtsmomente

So sind die kurzen Texte auf den linken Seiten des Buchs. Man wird sofort eingeschneit. Ein gutes Buch für den 15. Januar. Auf den rechten Seiten stehen manchmal längere Gedichte, relativ gesehen. Ich muss sie nur noch nicht mehr verstehen wollen.

Michael Herrmann, Die Ferien des Dr. Tulp, 2006 Bösenlustnauer Presse, Tübingen, ISBN 3-9808188-4-5, 22 Euro. Bestellungen wären am besten zu richten an:

joerg-m.hirsch[komisches Zeichen]gmx.de






Ich habe jetzt extra nachgesehen, ob es einen Ort namens Bösenlustnau gibt. Und wenn man ihn hätte erfinden müssen. [Aber ich wollte von der guten Empfehlung nicht ablenken.]


"Ablenkung" is my middle name. Ich finde nicht nur schön, dass es einen Ort wie Bösenlustnau tatsächlich gibt, sondern dass man in Tübingen, wo der Verlag tatsächlich residiert, einen Stadtteil namens Lustnau findet, so dass alles immer gesittet miteinander spricht.