Natürlich gehört dieser ganze Olympiaquatsch per se abgeschafft. Ihn nach China zu vergeben, war ein Akt der Gleichgültigkeit und des Opportunismus. Diesen Akt der Gleichgültigkeit und des Opportunismus jetzt wegen Tibet rückgängig zu machen, würde heißen, Partei in einem Kampf zweier Formen der gesellschaftlichen Unvernunft zu ergreifen. Die moralische Überlegenheit der tibetischen Partei in dieser Auseinandersetzung existiert nicht. Dem Dalai Lama glaube ich genauso wenig wie der chinesischen Führung, seine generelle Vertrauenswürdigkeit steht auf einer Stufe mit der von Jassir Arafat sel. Offenbar fehlt es den tibetischen Aufständischen hauptsächlich an Religionsfreiheit. Eine Freiheit von der Religion, für die sie Freiheit fordern, würde ich für einen Fortschritt halten.






Naja. Ist es damit okay, dass China sich Tibet angeeignet hat? So haben alle westlichen Kolonialmächte argumentiert. Den armen Negerlein die Zivilisation bringen und so weiter. Leopold schnappt sich den Kongo, China zivilisiert die Tibeter mal ordentlich von hinten durch. Die NATO hat den ollen Jugos auch so richtig die Demokratie reingebombt. Kann man doch machen.


Ob China sich Tibet "angeeignet" hat, ist anscheinend eine dermaßen verzwickte Frage, dass man mit ihr endlose Diskussionsrunden bestreiten könnte. Ich argumentiere nicht für die Chinesen. Mich ödet der Lamaismus an, und deswegen nehme ich nicht Partei für ihn. Wenn er verschwände, ohne durch einen anderen Irrsinn ersetzt zu werden, würde ich das begrüßen. Danach sieht es nun einmal nicht aus; ihn deswegen zu verteidigen, fällt mir nicht ein.


Die Chinesen haben sich Tibet angeeignet. Es ist heute eine chinesische Provinz. Noch mehr angeeignet geht nicht. Es ist so, als ob Deutschland sich Schlesien holen würde und dann noch den Rest von Polen mit dazu, weil man ja gerade dabei ist. Wie gesagt: Mit Deiner Argumentationslinie kannst Du jede kolonialistische Aktion verteidigen. Diese animistischen Zauberer im Kongo öden mich an. Dann doch lieber mit der Armee rein und plattmachen, die Kerls. Aboriginies? Langweilig. Her mit den Bodenschätzen, ihr kleinen Racker! Vielleicht wäre Tibet heute gar keine Theokratie mehr, wenn es das Land noch gäbe. Edit: Man muss den Dalai Lama sicher nicht mögen und es gibt eine Art von Propaganda gegen die Chinesen, die genauso verlogen ist wie CCTV. Aber den Dalai Lama nicht zu mögen, reicht zumindest für mich nicht dafür aus, dass ich kolonialistische Invasionen plötzlich gut finde.


Die Aneignungsfrage ist so einfach tatsächlich nicht, Chinas Ansprüche auf Tibet reichen weit zurück. Tibets Unabhängigkeitserklärung von 1913 wurde von keinem Staat anerkannt.

Die Sichtweise Tibeter gut und China böse ist einseitig. Und man muss China nicht mögen, um sich eine differenziertere Herangehensweise an diesen Konflikt zu wünschen.


Die Chinesen haben sich Tibet angeeignet. Es ist heute eine chinesische Provinz.

Mit Verlaub, da gibt's ein paar Probleme:

Je weniger die Lage in Tibet einem behaupteten systematischen Völkermord entspricht, desto mehr greift der Dalai Lama auf das Konstrukt des kulturellen Genozids zurück, das in sich fragwürdig ist, aber von ihm in bewußt manipulierender Weise mißbraucht wird. Laut Dalai Lama hat „kultureller Genozid“ im Zusammenhang mit der chinesischen Präsenz in Tibet folgendes zu bedeuten: Die chinesische Regierung versucht durch systematische Umsiedlungsprogramme die Tibeter zur Minderheit im eigenen Land zu machen. Dazu ist zunächst zu sagen, daß der Dalai Lama etwas anderes mit „Tibet“ meint als der Rest der Welt. Sein Tibet ist nicht dasjenige, das auf den Landkarten zu finden ist (nämlich die Autonome Region Tibet unter chinesischer Verwaltung):

"Wie (...) ausführlich dargestellt, bezieht sich die Argumentation des Dalai Lama stets auf das „ethnographische“ Tibet, das heißt auf den gesamten großtibetischen Siedlungsraum. Er unterschlägt, daß das zwischen 1913 und 1951, dem Zeitraum tibetischer „de-facto-Unabhängigkeit“, das von Lhasa kontrollierte „politische“ Tibet im wesentlichen der nur etwa halb so großen heutigen Autonomen Region Tibet entspricht. Die darüber hinausreichenden östlichen Territorien (mithin Amdo und Kham) unterstehen bereits seit 1720 (!) mandschurischer (ab 1912 nationalchinesischer) Kontrolle, sie waren nicht Teil des „politischen“ Tibet, für das 1913 die „Unabhängigkeit“ erklärt wurde." (S. 195)

Mit der erwähnten Unabhängigkeitserklärung ist ein Edikt des 13. Dalai Lama von 1913 gemeint, das von der exiltibetischen Regierung als Beleg für die vollentwickelte nationale Unabhängigkeit zwischen 1913 und 1951 gewertet wird, die völkerrechtlich die Voraussetzung für die Forderung wäre, Tibet von chinesischer Fremdherrschaft zu befreien. Die Beziehungen zwischen Tibet und China sind allerdings seit Jahrhunderten so eng, und die „Unabhängigkeitserklärung“ von 1913 ist so verwaschen, daß völkerrechtlich erhebliche Zweifel daran bestehen, daß das politische Tibet je ein unabhängiger Staat gewesen ist. Hinzu kommt, daß der jetzige Dalai Lama 1951 eine siebzehn Punkte umfassende Vereinbarung mit der damals neuen chinesischen Regierung nicht nur von seinem bevollmächtigten Verhandlungsführer unterschreiben ließ, sondern auch persönlich und als tibetisches Staatsoberhaupt noch einmal in einem Telegramm an Mao Tse Tung bestätigte, und zwar am 24. 10. 1951. Selbstredend will er das heute nicht mehr wahr haben.

Das mit der Kolonisierung des Kongo oder Australiens zu vergleichen, ist unredlich. Ich muss nicht wiederholen, dass ich chinesischer Militärmusik nichts abgewinnen kann, oder? Der Dalai Lama und sie Seinen sind keine Alternative.


Äh, sorry. Tibet ist schon ein bisschen älter als 1913. Tibeter und Chinesen haben sich immer bekriegt und Gebiete abgejagt, wie das halt bei benachbarten Gruppen so üblich ist. Aber dass eines Tages Onkel Mao kommt und sich mal eben den ganzen Kuchen schnappt, das ist eine kriegerische kolonialistische Übernahme und sonst nichts. Da gibt es auch nichts grauzureden.

Dass es nur die Alternative "Chinesische Herrschaft" (okay, weil keine Lamas) und "Theokratie" (nicht okay, weil Theokratie) gibt, ist nicht wahr, weil keiner weiß, wie sich Tibet entwickelt hätte, wenn die Chinesen nicht einmarschiert wären.

Was soll daran unredlich sein, einen kolonialistischen Überfall mit einem anderen gleichzusetzen? Es geht letztlich um Herrschaft und Bodenschätze. I rest my case.


meine herren, marcus, wird dir diese goldner-herbeizitiererei nicht langweilig? nichts gegen historische debatten, aber mit diesen halbverdauten platitüden echt nicht. hast du eigentlich schon mal tibetologische literatur gelesen, die sich mit goldner auseinandersetzt oder die andere positionen vertritt? oder geht es dir eh nur darum, dass der dalai lama entmythologisiert wird, egal, mit welchen mitteln und mit welchen argumenten?


Ach, Miss Katatonik, mir wird der ganze Käse langweilig. Ich kann die Debatten über Sogyal Rinpoche seinerzeit in der DBU herbeizitieren, das Gerede des Dalai Lama zu den Missbrauchsfällen im Zusammenhang mit anderen Lamas im Westen. Ich kann Wickert zitieren, ich kann Waldvogel-Frei zitieren, ich kann June Campbell zitieren, ich kann wen auch immer zitieren, es spielt ja keine Rolle. Whatever.

Tibetologie ist für mich in diesem Zusammenhang ebenso wenig letztbegründend wie kathologische Theologie bei der Bewertung des Katholizismus. Wer zu viel Theologie betreibt, sieht am Ende den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr.


Naja, was erkennst Du dann als valide Quelle an, wenn nicht die Arbeiten von Leuten, die sich professionell und unter Verwendung des anerkannten Methodenapparats der Geistes- und Sozialwissenschaften mit einem Fachgebiet auseinandersetzen?


Was für eine bizarre Frage in diesem Zusammenhang. Als würde eine endlos gelehrte Auslegung der Bergpredigt die Kumpanei des Vatikans mit den Nazis hinwegzaubern. Als würde das ewige Gefasel über Hadithe aus dem Islam eine Religion des Friedens machen.


Okay. Wenn meine Frage bizarr ist, dann nenn mir bitte die drei lebende Wissenschaftler aus dem Bereich der Tibetologie und / oder Buddhismuswissenschaften von internationaler Geltung. Sag mir, mit welcher Methodik sie arbeiten und warum ihre Arbeiten Deinen Ansprüchen nicht genügen.


Ich kenne nicht einen einzigen, und die Tibetologie und die gesammelten Buddhismuswissenschaften sind mir herzlich gleichgültig. Mich interessiert hier keine Textkunde, ich brauche keinen religionswissenschaftlichen Schwanzlängenvergleich. Ich glaube, dass genug von dem stimmt, was die Kritiker über die historische wie die aktuelle Praxis des tibetischen Buddhismus berichten, um zu hoffen, dass die Mönche in Tibet nie mehr zu ihrer einstigen Macht finden, und dass ihr Einfluss im Westen wieder schwindet. Glaube und Hoffnung, wie du siehst - wissenschaftlich höchst irrelevant, aber so wichtig für mich und dies mein kleines Blog.


Aber Glauben ist dann doch etwas anderes als überprüfbares Wissen. Wenn dieser Glaube dann dazu führt, dass konkrete militärische und polizeistaatliche Praktiken ex post als legitim betrachtet werden, dann finde ich das schade. Das betrifft jetzt eben nicht nur Dich, sondern auch viele andere Leute, die ich im Netz und offline zu diesem Thema habe argumentieren sehen. Daher hat es mich auch interessiert, woher diese Einstellung kommt, dass die Chinesen den Fortschritt bringen und daher das kleinere Übel sind.


Nun, Glauben und Glauben. Das eine ist der Glauben im religiösen Sinn, oder als Gegensatz zum Wissen, und das andere das Vertrauen in die faktengestützten Erlebnisberichte von Leuten wie June Campbell. Grade der Gewissheit, über die wir uns wahrscheinlich nicht einig werden. Was ich hier nicht möchte: dass du mir Dinge unterstellst, die ich nicht gesagt habe, oder Alternativen, die ich nicht konstruiert habe. Mit der Bitte um Beachtung.

{Edit}: Jetzt fängst du an, mich ernsthaft kränken zu wollen. Nachdem ich dich gebeten habe, von Unterstellungen abzulassen, hast du dein ursprüngliches Vorposting durch einen Zusatz noch verschärft:

Das betrifft jetzt eben nicht nur Dich, sondern auch viele andere Leute, die ich im Netz und offline zu diesem Thema habe argumentieren sehen. Daher hat es mich auch interessiert, woher diese Einstellung kommt, dass die Chinesen den Fortschritt bringen und daher das kleinere Übel sind.

Ich bitte dich ernsthaft, mit diesen Unterstellungen aufzuhören. Ich legitimiere nichts, ich diskutiere nicht über kleinere und größere Übel, ich wende mich hier gegen die kurrente protibetische Augenwischerei in den Medien und der Öffentlichkeit. Angesichts der Kräfteverhältnisse ein in sich lächerliches Unterfangen, gewiss. Aber kein Anlass, mich hier als Legitimierer von irgendwas abzustempeln.


Gut. Aber aufgrund von Reiseberichten würde ich nicht darauf schließen, dass die Tibeter sich gegenüber den Chinesen im Unrecht befinden, um auf das Ursprungsposting zurückzukommen. Nur weil die alte Tibetische Regierung nichts getaugt hat, war der Angriff der Volksbefreiungsarmee auf ihr Territorium nicht automatisch gerechtfertigt. Daher haben sich die Chinesen mit ihrem Angriff und der Integration Tibets ins eigene Staatsgebiet ins Unrecht gesetzt. Und darum geht es letztlich, wenn über den Aufstand in Tibet gesprochen wird.


Ich geb's auf.


OK. Gutnacht ;P


nur kurz zur klaerung: tibetologen sind keine theologen. es gibt unter ihnen historiker, sozialwissenschaftler, religionswissenschaftler, ethnologen, linguisten, philosophiehistoriker, etc. einige moegen sich in der oeffentlichkeit berufener fuehlen, eigenheiten der tibetischen religionsgeschichte bis an die grenze des sympathisantentums auszulegen und zu erklaeren, aber das macht sie noch nicht zu theologen. die tibetologen als textausleger moegen dir egal sein, aber gottseidank ist das den tibetologen egal, da sie weit mehr als textausleger sind. woher dieses "theologieverstaendnis" kommt, wuerde ich bei gelegenheit gerne wissen.

marcus, du hattest goldner zur unabhaengigkeitsfrage diskutiert. dafuer ist er, finde ich, auf nachgerade ueberdeutliche frage nicht zitabel.

ich finde es auch merkwuerdig, diese politisch-historische debatte mit dem missverhalten gewisser lamas oder tantriker in zusammenhang zu bringen, mit dem gewisse repraesentanten tibetischer buddhistischer traditionen ihre probleme haben, sich nicht hinreichend distanzieren, klar.

aber diesen aspekt in die unabhaengigkeitsfrage oder die diskussion ueber die moderne gesellschaft tibets einzuwerfen - das ist ein bisschen so, als wuerde man das selbstbestimmungsrecht der ueberwiegend katholischen iren dadurch diskutieren wollen, indem man kindesmissbrauch durch priester etc. in die waagschale wirft. mir ist nicht klar, was man dadurch fuer die diskussion gewinnen koennte.

nur eines noch: der text von Waldvogel-Frei ist in seiner darstellung sehr tendenzioes. nahezu unglaublich. in seiner einschaetzung, der tantrismus sei fuer tibetische kriege verantwortlich, ist er historisch-politisch sehr naiv, um es hoeflich auszudruecken. den hinweis darauf, dass die tibetische geschichte keineswegs so friedlich war, wie es ein verzerrtes bild des friedlichen tibeterleins gerne sehen moechte, finde ich wichtig. (ich unterrichte gerade eine einfuehrung in den tibetischen buddhismus und merke lebhaft, wie wichtig das ist.) das hat nur zu einem geringen teil mit dem tantrismus zu tun, sondern wohl eher mit sozialer organisation und gesellschaftsgeschichte (die tibetische geschichte ist vor einfuehrung des buddhismus nicht signifikant weniger oder mehr brutal als danach, nur die legitimationsformen sind andere).

wenn es um die wilderen aspekte des tantrismus geht, mordrituale und sexualpraktiken, kommt man auf schwieriges terrain. das hat einerseits damit zu tun, dass das eine auslegungsbeduerftige literatur ist, deren auslegung gemeinhin fuer uninitiierte undurchsichtig ist. es ist historisch nicht wegzuleugnen, dass die klerikalen traditionen tibets die so genannten hoeheren tantras mit ihren den moenchsgeluebden widersprechenden praktiken, vor allem sex, tendenziell symbolisch interpretierten. das ist nicht nur schoenrederei. daneben gab es auch nicht klerikal organisierte tantrische praktiker, aber ueber deren anzahl und einfluss etwas zu sagen, ist sehr schwer. spannungsfrei war das verhaeltnis innerhalb dieser beiden sozialen organisationsformen von religion jedenfalls nicht unbedingt.

damit moechte ich nicht sagen, dass mordrituale nicht durchgefuehrt wurden, oder dass es keinen sexuellen missbrauch gab. aber man kann aus der erwaehnung in der normativen literatur nicht darauf schliessen, dass derlei auf breiter basis vorkam - schon allein deshalb nicht, weil die breite basis der tibeter zu dieser literatur wenig zugang hatte.

die kalacakra-weltmissionierungsgeschichte ist uebrigens als verschwoerungstheorie so laecherlich wie jede andere verschwoerungstheorie. echt, marcus. nur, weil gewisse historisch entstandene texte woertlich betrachtet unerhoertes bedeuten, heisst das nicht, dass hinter ihrer verwendung in gewissen ritualen heute auch tatsaechlich ebenselbiges steckt, noch dazu in der form. und dass der tibetische buddhismus mit demokratie unvereinbar sein soll, naja, koennte man auch dem naechstbesten dorfpfarrer und seinem katholizismus erzaehlen. das ist in der form weder originell noch haltbar.

ach gott, kraut und rueben halt in dem text. kann man viel dazu sagen oder auch nicht. es spielt ja keine rolle :-)


Zu all dem fallen mir nur Direktheiten ein, die geeignet sind, dich zu verletzen. Aber wie soll ich es anders sagen? Was du schreibst, klingt in meinen Ohren, als wolltest du um jeden Preis einer Sache Respektabilität verleihen, die gewaltig Schieflage hat. Es klingt wie Apologetik.

Ob das originell ist, oder nicht - selbstverständlich ist der Katholizismus, ernst genommen, mit der Demokratie unvereinbar, und selbstverständlich hat die katholische Färbung die "irische Sache" beschädigt, genauso wie der Nationalismus (schön nachzulesen bereits in den "Dubliners" von Joyce) - was die Brutalitäten der britischen Besatzung nicht besser macht.

Die Freiheit von der Religion, für die die Tibeter Freiheit fordern, wäre für mich ein Fortschritt, und ihre anti-oppression/pro-slavery rebellion unterstütze ich nicht.


Oder mit anderen Worten: Wenn die Konklusion klar ist, was kümmert mich der Weg dahin?


MH: Die Tibetologie ist keine Theologie. Alles mal eben aus dem Handgelenk pauschal für wertlos zu erklären, weil es nicht ins angelesene Weltbild passt, erinnert leider an die Taktiken von Kreationisten. Es ist eine genuin religiöse Praxis. Du hast selbst zugegeben, Dich nicht mit Tibetologie auseinandergesetzt zu haben, ihre Texte und Methoden nicht zu kennen. Aufgeklärte Vorgehensweise wäre in diesem Fall: Ms. K. fragen, welche Stellen in den von Dir zitierten Texten in der wissenschaftlichen Fachliteratur widerlegt sind. Stattdessen packst Du den Holzhammer aus. Es ist so, als würde man Erich von Däniken als Kronzeugen gegen die Archäologie anrufen. Ehrlich.


Weil nicht wahr sein kann, was nicht wahr sein darf, muss mit endlosen dialektischen Winkelzügen umwölkt werden, dass der tibetische Buddhismus eine brutale Theokratie war, die auf geistiger und körperlicher Versklavung der Gläubigen beruhte - was durch historische Zeugnisse überdeutlich belegt ist. Leibeigenschaft, Abwesenheit eines Schulwesens außerhalb der Klöster, standardmäßig perverseste Körperstrafen im Namen der Religion, religiöser Wahn, größte Armut der Bevölkerung bei Aufhäufung von Reichtümern in den Klöstern - das war nicht die Realität des tibetischen Buddhismus bis 1950? Miss K., es gibt doch sicher tibetologische Texte, die auch das noch wegschwindeln, entschuldigen, kulturrelativistisch umdeuten, oder? das hat einerseits damit zu tun, dass das eine auslegungsbeduerftige literatur ist, deren auslegung gemeinhin fuer uninitiierte undurchsichtig ist. Yeah, yeah, yeah. Einer unbelegbaren Hoffnung, dass sich am Kernanliegen dieser Religion irgendwie etwas geändert haben könnte, steht das zeitgenössische Zeugnis von ehemaligen Anhängern und von Kritikern gegenüber, dass die religiösen Praktiken im Exil (vor allem, was die sexuelle Ausbeutung von Anhängerinnen angeht), vollkommen intakt geblieben sind. Die gewaltförmigen Auseinandersetzungen zwischen tibetischen Sekten haben sich ebenso fortgesetzt wie in den Jahrhunderten vorher. Bei den Anstrengungen des tibetischen Widerstands ging es nie um etwas Anderes als um eine Restauration der früheren Verhältnisse, während der Dalai Lama bis heute das Blaue vom Himmel herunterlügt und -grinst, wenn das taktisch geboten scheint (s. Jassir Arafat). Es gibt keine tibetische Zivilgesellschaft, und innerhalb des gesellschaftlichen Paradigmas, für das der Dalai Lama steht, kann es sie auch gar nicht geben, was immer er auch den Journalisten ins Mikrofon schwätzt. Und während sich dieses verlogene Mönchspack auf die Wiedererlangung seiner alten Macht vorbereitet, betreibt so mancher Tibetologie, die je nach Anforderungslage entweder Theologie ist, kritische Kulturwissenschaft, Textexegese oder was auch immer ist - auf keinen Fall darf sie aber grundsätzliche Kritik an ihrem Forschungsobjekt äußern, wie berechtigt das auch immer sein mag (s. die handelsübliche Orientalistik). Wünsche gesunde Nachtruhe.


Und während sich dieses verlogene Mönchspack auf die Wiedererlangung seiner alten Macht vorbereitet, betreibt so mancher Tibetologie, die je nach Anforderungslage entweder Theologie ist, kritische Kulturwissenschaft, Textexegese oder was auch immer ist - auf keinen Fall darf sie aber *grundsätzliche* Kritik an ihrem Forschungsobjekt äußern, wie berechtigt das auch immer sein mag (s. die handelsübliche Orientalistik).

Starke Ansage von jemandem, der zugegeben hat, über die Tibetologie nichts zu wissen und keine ihrer Vertreter und keine Texte zu kennen.


Ach, Papperlapapp. Jetzt kann ich dir vorwerfen, dass du im Zusammenhang mit den Tibetfuzzis Rechtfertigungsstrategien anwendest, die du bei Scientology, Anthroposophie und Mullah Dadullah nicht mit spitzen Fingern anfassen würdest, und du kannst mir vorwerfen, dass ich gar kein Tibetisch kann, dann kannst du mich wieder in die Nähe der Chinesen rücken und ich kann dir vorwerfen, dass Liebe blind macht, und so geht das immer im Kreis herum. Langweilig.


Nein, ich werfe Dir nur vor, mit obskurantistischen Argumentationsfiguren und schwach belegten Texten als Quelle gegen den Obskurantismus vorgehen zu wollen, womit Du scheitern musst. Und mit Ms. K. clashe ich auch oft und gerne, aber eine ganzes wissenschaftliches Fach mal eben in die Tonne zu treten, von dem man nullkommanichts weiß, um damit jemanden auszuschalten, der die Verhältnisse in Tibet und die beschriebene Literatur besser kennt als man selbst, das ist mir einfach zu heftig. Wenn Du beweisen kannst, dass Ms. K. keine Ahnung von Tibet und ihrem eigenen Fach hast, dann musst Du dafür schon harte Argumente und Fakten bringen. Und dann nur mit Ad-Hominem-"Argumenten" zu kommen - das kannst Du besser.


Von mir aus kannst Du meine Beiträge ruhig killen. Du weißt, dass ich Dich sehr schätze und gerne mag. Vielleicht hat mich gerade deshalb Deine Wut so mitgerissen. Dass Dich die offensichtliche Bigotterie in der Berichterstattung nervt, kann ich ganz nachvollziehen. Dass die Tibeter keine Hascherln sind - von mir aus. Nur den Bruch in der Argumentation versteh ich halt nicht. Muss ich aber auch nicht. Lass uns wieder gut sein.


Ist gut.


Mal ohne genaueres oder gar tieferes akademisches Detailwissen über Tibet dahinskizziert:

• Mein oberflächliches Lesen diverser Berichte sagt, dass der Aufruhr, Aufstand, Whatever nun nicht wirklich das Resultat der Klosterszene war, sondern eher der jüngeren Tibeter und auch nicht generell religiös sondern auch politisch motiviert. Nun sind die Medien nicht zwangsläufig zuverlässig wie man derzeit wieder merkt, aber nehmen wir mal als Hypothese an, dass diese angry young men so existieren.

• Gleichzeitig sitzen in Indien Dalai Lama & Clique und haben natürlich auch was zu sagen. Wie praktisch jeder irgendwo eine Meinung hat. Allerdings scheinen die nicht die einzige Fraktion zu sein, nicht die einzigen, die eine relevante Stimme auf die Zukunft eines hypothetischen freien Tibets hätten. Komische Leute, die einen aus merkwürdigen, selbstsüchtigen Gründen unterstützen, gibt es immer wieder. Deswegen sollte man eine wie auch immer geartete Bewegung nicht deswegen verurteilen, nur weil sich Leutchen wie ... sagenwirmal ... Stalinisten oder Anarcho-Kapitalisten oder auch einfach nur merkwürdig riechende Leute vermutlich ungewollt damit assoziieren. Finde ich.

• Und selbst wenn: Immer wenn irgendwo was im Umbruch ist, gibt es wenigstens die Chance auf Verbesserung, vielleicht dadurch dass unterschiedliche Interessen abgewogen werden und ein Kompromiss gefunden wird, vielleicht aber auch nicht. Man weiß es nicht. Es ist also praktisch immer die Stunde Null.

• Und das gilt auch für Einzelpersonen oder -gruppen, die plötzlich zu ihren Sinnen kommen können. Komisch riechende Leute können plötzlich anfangen, sich zu waschen. Auch da ist jederzeit Stunde Null. Bei Stagnation gibt es diese nicht.

• Das ist natürlich eine leicht naiver Hoffnung auf die scheinbaren immer vorhanden Möglichkeiten und ja, mein Zynismusgenerator hat natürlich sofort die bekannten Hollywood-Platitüden und das chinesische Schriftzeichen ausgespuckt. Dennoch.

Denke ich an diesen Linien entlang – und das tue ich – so erscheint mir deswegen Dein Nicht-Parteiergreifen eben so merkwürdig: Durch konsequentes Ablehnen des Dalai Lama negierst Du auch andere Möglichkeiten, andere Chancen, denen ich durchaus Erfolgswahrscheinlichkeiten zuschrieben würde, würde ich die Option Chinesischer Volkskrieg außer acht lassen. Denn angenommen es gäbe eine friedliche Rosen-Nelken-Zedern-Orangene-Revolution und China würd nur mit den Achseln zucken: Im 21. Jahrhundert; im Scheinwerferstrahl Richard Gere'scher Prägung stelle ich mir es verdammt schwierig vor, auch nur ansatzweise das Worst-Case-Modell der Theokratie zu realisieren.


Von den Angry Young Taliban hat die Welt nämlich noch nichts gehört. Und der Guerillakampf in Tibet von 1958 bis 1973 war auch theokratiefern. Ach Leute.